Von Silke Nierfeld | 28.02.2025 | Lesezeit ca. 5 Minuten
Die Tücken des Verstandes erkennen und überwinden
Der Verstand wird als objektiver Problemlöser angesehen – eine falsche Annahme. Seine Funktionsweise erzeugt ein verzerrtes Weltbild, das zu Konflikten und falschen Identifikationen führt. Ein tieferes Verständnis dieser Mechanismen ermöglicht die Lösung der Konflikte – und eröffnet völlig neue Entfaltungsräume.#ThinkingIsNotBeing

Was ist eigentlich der Verstand?
Der Verstand ist die menschliche Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, zu analysieren und Schlussfolgerungen zu ziehen. Seine Funktionsweise beruht auf Trennung und Relativierung: Er separiert Subjekt und Objekt, Ich und Nicht-Ich, Gut und Böse. So entsteht ein Weltbild aus Einzeldingen und Gegensätzen.
Die Natur folgt einem völlig anderen Prinzip. Sie ist ein dynamisches Geflecht komplementärer Kräfte, das sich selbst organisiert (Autopoiesis), wie es alle lebendigen Systeme tun. Die Steuerungslogiken des rationalen Denkens stehen also der lebendigen Selbstorganisation entgegen: Sie erzeugen chronischen Stress, reduzieren Lebendigkeit und führen zu den fundamentalen Problemen unserer Zeit.
Konflikte entstehen nicht nur durch den Unterschied zwischen Denken und Wirklichkeit, sondern vor allem dadurch, dass Menschen sich mit ihren Gedanken identifizieren – und diese mit der Realität verwechseln.
Der renitente Gast
Der Taoismus beschreibt mit einer Metapher, was im Inneren des Menschen geschieht: Der Verstand – das konkrete, konzeptuelle Denken – ist nur ein Gast im Haus des Geistes, der Quelle allen Seins. Doch anstatt sich seiner Rolle bewusst zu sein, verdrängt er durch seine rastlose Geschäftigkeit (der sogenannte Monkey-Mind) den wahren Gastgeber aus der Wahrnehmung und erhebt sich selbst zum Herrscher. Das Ego ist nichts anderes als der Verstand, der sich als Ich definiert – weil er sich als Handelnden begreift und seine Verwobenheit mit dem Ganzen ignoriert.
Die Strategie des Verstandes ist simpel: Er entwirft einen Soll-Zustand, wie die Dinge sein sollen, während das Leben in ewigem Wandel fließt. Je verbissener der Mensch versucht, seine Vorstellungen durchzusetzen, desto weiter entfernt er sich von seinem wahren Wesen – das macht weder Freude noch Sinn.
Irgendwann macht sich in jedem Menschen Unzufriedenheit breit. Sie ist eine Feststellung dessen was ist – und nicht das Ergebnis analytischen Denkens. [Es ist also immer möglich, das Leben als Erfahrung wahrzunehmen, und die Rationalisierung zu unterlassen]. Das führt aber noch nicht zur Einsicht in die fehlerhafte Verstandesstrategie. Vielmehr wird versucht, auch Veränderungen mit einer Soll-Ist-Logik zu betreiben – was zuverlässig scheitert.
Das Leben wir nicht chaotisch, wenn wir Kontrolle loslassen. Es fügt sich vielmehr in die natürliche Ordnung der Dinge.
Elisabeth Kübler-Ross
Wie der Verstand die Wirklichkeit verzerrt:
Das, was jenseits des Verstandes liegt, ist die Wirklichkeit. Der Verstand ist nur eine Projektion.
Ramana Maharshi
Fazit zum Führungsbedarf des Verstandes
Das konkrete Denken trennt den Menschen von der Wirklichkeit, ohne dass er sich dieser Trennung bewusst ist. Deshalb spricht man von Erwachen, wenn deutlich wird, dass sich hinter den eigenen Überzeugungen eine unendliche Wirklichkeit verbirgt. Der Anstoß dazu kommt immer aus der Unzufriedenheit des Selbst, das sein Schattendasein beenden möchte.
Der Verstand ist ein Werkzeug der Analyse, der Konkretisierung und der Zerlegung – sowie eine Instanz der Ich-Zentrierung. Es ist also kein Wunder, dass das rationale Zeitalter von technischem Fortschritt und Mechanisierung, aber auch von Umweltzerstörung, Stress, Egoismus und Konflikten geprägt ist.
Seine größte Schwäche ist die Selbstblindheit – die Unfähigkeit, eigene Unzulänglichkeiten zu erkennen. Konflikte werden nach außen projiziert, anstatt sie in der eigenen Funktionsweise zu erkennen. Und weil der Verstand mit einem kaskadierenden Abwehrsystem operiert, blockiert er Veränderungen effektiv. Es ist nicht möglich, sich durch neue Wertesysteme, Denkstrukturen, etc. von der Illusion der Trennung zu befreien. Die Rationalisierung, die Trennung von Beobachter und Beobachtetem muss aufhören – dann können Menschen ihre schöpferische Kraft entwickeln und die Freude des Selbst-Seins genießen.
Wie kann man sich vom Gefängnis der Gedanken befreien?
Die wichtigste Fähigkeit ist die Meisterung der Konzentration – die Kunst, den Verstand vollkommen still werden zu lassen. Zahlreiche Achtsamkeits- und Meditationspraktiken ermöglichen genau das. Mit einem stillen Geist wird es möglich, das eigene Denken zu beobachten.
Sobald dieser Schritt getan ist, entsteht Einfluss auf die Qualität der Gedanken. Jeder Gedanke trägt die Kraft der Verwirklichung in sich – deshalb ist es entscheidend, sich nicht mit Sorgen, Ablehnung oder Feindseligkeit zu beschäftigen. Skepsis und innere Widersprüche blockieren die Entfaltung des Selbst – jenes freudvolle Sein, nach dem sich Menschen eigentlich sehnen.
Schöpferisches Denken, das der Funktionsweise der Natur entspricht, entsteht durch eine radikale Umkehr: weg von konditionierten Gedanken hin zu ihrer Quelle – dem Geist. Dies wird auch geistiges Bewusstsein oder Second-Tier Denken genannt. Obwohl dieser Begriff durch das Modell Spiral Dynamics bekannt geworden ist (sein Ursprung liegt im Taoismus), führt dieses Entwicklungsmodell eben nicht zu geistigem Bewusstsein und schließt Selbstverwirklichung aus. Glücklicherweise ist dies auch nicht wahr, denn der Sinn des Lebens liegt darin, zu werden, wer man wirklich ist.
Unser Ansatz Reinventing Transformation ist eine vollkommen neue Strategie, um Transformation ohne zermürbende Change Prozesse zu erreichen. Wir ermöglichen den Wechsel vom begrenzenden Denken zum ganzheitlichen Sein. Das verwandelt den Alltag von Menschen und Organisationen und befähigt sie zum souveränen Umgang mit Komplexität – die wahre Grundlage von Zukunftsfähigkeit.