Von Silke Nierfeld | 10.09.2024 | Lesezeit ca. 9 Minuten
Die Entwicklungstheorie Spiral Dynamics
Spiral Dynamics ist eine EntÂwickÂlungsÂtheoÂrie, die in einem Modell komplexer werdender Weltsichten die Entwicklung des Menschen in Wechselwirkung mit sich verändernden Umweltbedingungen beschreibt. Dieser Beitrag fasst die wichtigsten Aspekte der Theorie zusammen.
Der Ursprung von Spiral Dynamics
Spiral Dynamics wurde von dem ameÂrikaÂnischen PsyÂchoÂlogen Dr. Clare W. Graves entwickelt. Es ist ein MoÂdell, das die bioÂloÂgisch – psyÂcholoÂgisch – soÂziale EntÂwickÂlung des MenÂschen in einer SpiÂrale immer komplexer werdender Weltsichten / Denkstrukturen beÂschreibt.
Kern des Modells ist die Beschreibung der Psychologie des reifen Menschen als einen sich entfaltenden, emergenten (auftauchenden), oszillierenden, spiralförmigen Prozess. Er ist charakterisiert durch die fortschreitende Unterordnung älterer Verhaltenssysteme niedrigerer Ordnung unter neuere Systeme höherer Ordnung, wenn sich die existentiellen Probleme des Menschen verändern.
Die Theorie befasst sich sowohl mit den Triebkräften von Dynamik, als auch mit der Beschreibung chronologischer Entwicklungsstadien. Jedes Stadium ist durch einer bestimmten Art und Weise gekennzeichnet, wie Menschen die Welt sehen, welche Werte (WMme) zentral sind und wie sie sich organisieren.
Die Entwicklungsgeschichte des Modells
Don Edward Beck und ChrisÂtopher C. Cowan waÂren SchĂĽÂler von Graves und ersetzten den ursprĂĽnglichen Titel The emergent, cyclical, double-helix model of the adult human biopsychosocial systems development durch den NaÂmen SpiÂral DyÂnamics. Sie entÂwickelÂten die TheoÂrie fĂĽr die AnÂwenÂdung in WirtÂschaft und PoliÂtik weiter.
WeÂsentÂliche Ă„nÂderÂunÂgen waÂren die BeÂnennung der EbeÂnen mit FarÂben statt mit BuchÂstaÂben und die VerÂknĂĽpfÂung des BeÂgriffs der Wert-Meme (WMeme) mit der Lehre von Spiral Dynamics.
Der wissenschaftliche Ansatz
Graves liefert das sozio-psychologische Äquivalent der Darwinschen Anpassung , die man als Auslöser des Äußeren bezeichnen könnte. Als Reaktion auf Veränderungen in der Umwelt treten im Laufe der Zeit Veränderungen in der Biologie der Arten auf. Sie betreffen die Struktur und das Verhalten, sodass alle Merkmale der Veränderung miteinander verbunden sind; das Innere für den einen ist das Äußere für den anderen.
Die Theorie von Graves ist im Wesentlichen ähnlich, da das Auftreten neuer Stufen von Veränderungen im Gehirn begleitet wird. Die Anpassung beschränkt sich nicht nur auf die innere Einstellung, sondern es finden auch hormonelle und neurophysiologische Veränderungen statt, und die Rhythmen der Gehirnwellen verändern sich.
Innen und Außen stehen in einer adaptiven Beziehung. Der Mensch reagiert auf die äußeren Bedingungen und beeinflusst sie seinerseits. Die Beziehung ist also wechselseitig, sie ist ein sich gegenseitiges Informieren.
Kernaussagen der Theorie Spiral Dynamics
Sechs Bedingungen fĂĽr WMme-Wandel
Damit sich Denkstrukturen oder Werte-Meme wandeln, mĂĽssen folgende Bedingungen erfĂĽllt sein:
Sieben Arten der Veränderung
Spiral Dynamics beschreibt sieben Arten der Veränderung, von der Feinabstimmung bis zum großen Sprung. Grundsätzlich sind sowohl Aufwärts- als auch Abwärtsbewegungen möglich, die horizontal, diagonal oder vertikal verlaufen können.
Fünf Phasen des Veränderungsprozesses
Bei der Transformation von einer Entwicklungsstufe zur nächsten unterscheidet Spiral Dynamics fünf typische Phasen:
Meine Forschung deutet darauf hin, dass der Mensch lernt, dass Werte und Lebensweisen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Entwicklung gut für ihn waren, aufgrund der veränderten Bedingungen seiner Existenz nicht mehr gut sind.
Clare W. Graves
Die Charakteristika der First-Tier WMeme
Spätestens ab der orangen Stufe verfügt der Mensch über die mentalen Möglichkeiten, intersubjektive / kollektive Strukturen infrage zu stellen. Es besteht keine Notwendigkeit, sich nur innerhalb dieser Grenzen und Konditionierungen zu entwickeln. Der Prozess der eigenen Wahrheitserkenntnis und Selbstverwirklichung wurde von C.G. Jung als Individuation beschrieben. Spiral Dynamics zieht diese Möglichkeit nicht in Betracht.
Der Wechsel zum Second-Tier
Spiral Dynamics bezeichnet die integrale, gelbe Ebene als die erste des zweiten Ranges, des geistigen Bewusstseins. Zu dieser Schlussfolgerung kann man nur kommen, wenn man sich selbst nicht im Second-Tier befindet. Graves machte keinen Hehl daraus, dass er sich selbst im First-Tier verortete. Er hat außerdem wiederholt darauf hingewiesen, dass es für First-Tier Denker unmöglich ist, das Second-Tier zu verstehen.
Es ist zu bedauern, dass er daraus nicht die Konsequenz gezogen hat, die Beschreibung des Second-Tier aus seiner First-Tier Ansicht zu unterlassen. Sie dient vielen als Rechtfertigung für First-Tier Strategien im neuen Gewand – eine gravierende Fehlentwicklung. In dem Beitrag Spiral Dynamics Kritik führen wir das aus.
Wir nennen die integrale Ebene eine Übergangsebene, weil sie den Anforderungen des Second-Tier-Denkens nicht genügt. Es ist die Anwärterschaft auf spirituelle Entwicklung, ohne Zutritt zur geistigen Wirklichkeit. Die spirituelle Schülerschaft – die den Beginn des Second-Tier Denkens kennzeichnet – hat Voraussetzungen, die auf dem Einweihungsweg der Selbstverwirklichung erlangt werden.
Weder das gelbe, noch das türkise WMeme in der Schilderung von Spiral Dynamics sind in diesem Entwicklungsstadium, denn das Denken findet unverändert im Intellekt statt. Das bedeutet, das die Wirklichkeit von eigenen Konzepten und Überzeugungen überlagert wird. Second-Tier Denken setzt die Freiheit von allen Konditionierungen voraus. Die Wirklichkeit wird ohne Rationalisierung – ohne Trennung von Beobachter und Beobachteten wahrgenommen – und das Denken findet in der Seele statt.
Fehler im Umgang mit Spiral Dynamics
Ein klassischer Fehler im Umgang mit Spiral Dynamics besteht darin, komplexere Ebenen per se für besser zu halten. Die mit zunehmender Komplexität erreichte Handlungsvarietät ist ein großer Vorteil. Es geht aber vor allem um die Angemessenheit in der Interaktion mit der Umwelt.
Hätten Politiker verstanden, dass man imperialistischen Denkstrukturen (rot) nur mit solidem Blau begegnen kann, dann wären sie nicht der Illusion erlegen, auf Wandel durch Handel (orange) zu setzen.
Fazit zum Entwicklungsmodell Spiral Dynamics
SpiÂral DyÂnamics erklärt intersubjektive Realitäten, die unbewusst in Form von WMemen auf Menschen und Systeme einwirken. Die Stufen und Unterschiede des First-Tiers werden ĂĽberzeugend dargestellt. Die wichtigste Erkenntnis von Spiral Dynamics ist, dass Menschen im First-Tier ihre relative Weltsicht absolut setzen.
Sie fühlen sich durch andere Sichtweisen bedroht, weil sie sich mit ihrem Denken identifizieren. Daraus resultieren die vielfältigen Konflikte in der Welt. Erst die integrale 7. Ebene durchbricht dieses Muster und findet zu friedlichen, kalaidoskopischen Lösungen.
Die Darstellung des Second-Tier-Denkens erfolgt ohne Einsicht in die inneren Transformationsprozesse. Dies begründet auch die Reduktion der Veränderungsimpulsen auf äußere Faktoren. Das gesamte Leben wird von der Seele initiiert und gesteuert. Die Transformation zum Second-Tier-Denken wird immer durch die Bewusstwerdung der Seele ausgelöst – und dieser Impuls ist unabhängig vom Komplexitätsgrad der Denkstrukturen. Die Chronologie, die Spiral Dynamics vorschlägt, ist nicht nicht zwingend. Wer sich auf die Suche nach der tieferen Wahrheit macht, wird die WMeme als Konditionierungen durchschauen und sich von ihnen befreien.
Quellen: Spiral Dynamics von Beck und Cowan, Clare W. Graves: Sein Leben, Sein Werk von Rainer Krumm und Benedikt Parstorfer