Von Silke Nierfeld | 22.06.2025 | Lesezeit ca. 4 Minuten

Second-Tier ist schöpferisches Denken

Östliche Weisheitstraditionen unterscheiden zwischen dem konzeptuellen, konditionierten oder niederen Denken und dem höheren, abstrakten oder schöpferischen Denken des ursprünglichen, unveränderlichen Geistes (Second Tier), der von raum-zeitlichen Bedingungen unberührt ist.

Ein Schild zeigt den Ortswechsel symbolisiert den Wechsel vom First Tier Intellekt zur Second Tier Intuition

Second-Tier bedeutet höheres Bewusstsein

In den ältesten Texten von Buddhismus und Taoismus wird von einer Geburt gesprochen – nicht biologisch, sondern geistig. Alle Kulturen kennen diese Möglichkeit der Rückkehr zu einem Ursprung, den manche Gott nennen, andere Licht oder Liebe. Gemeint ist die Schöpferkraft oder das, was die Welt zusammenhält.

Das Bewusstsein durchläuft drei Phasen: ozeanisches Einheitsgefühl, dann Trennung in eine Persönlichkeit mit ihren Konflikten. Und schließlich etwas Drittes – eine Verbundenheit auf einer höheren Ebene. Dieser Prozess wird durch das Erwachen der Seele eingeleitet, die das Entwicklungsprinzip des Menschen ist und sowohl in die Materie als auch in das Geistige hineinwirkt.

Interaktion auf multiplen Bewusstseinsebenen

Die grobstoffliche Welt (drei Dimensionen) ist untrennbar mit der feinstofflichen (vier Dimensionen) verbunden. Für jede Ebene hat der Menschen einen eigenen Körper, durch den er wahrnimmt und interagiert.

Second-Tier Denken bedeutet die Verlagerung der Denktätigkeit vom eigenen Intellekt zur empfangenden Intuition des Kausalkörpers auf der buddhischen Ebene (Seele), die die Verbindung der beiden Welten ist.

Spirituelle Transformation durch Entwicklung des Denkvermögens

Die Verbindung zum Kausalkörper (Antahkarana) entwickelt sich durch selbständiges, abstraktes Denken. In der Phase betonter Intellektualität entstehen Konflikte und ideologische Auseinandersetzungen mit emotionalen Spannungen. Wer lernt, diese Emotionen durch verstehendes Denken aufzulösen, entwickelt die Vorstufe zur spirituellen Entwicklung.

Der nächste Schritt ist synthetisierendes Denken. Gegensätzlichkeiten in sich verschmelzen zu können, bedeutet Annäherung an die geistige Ursprungsebene. Das Ziel der inneren Umwandlung ist nicht nur Transzendenz, sondern die vollkommene Integration von Geist und Materie, Subjektivität und Objektivität, Ich und Kosmos.

Der tatsächliche Sprung zum Second-Tier Denken geschieht, wenn Persönlichkeit und Seele verschmelzen und die Identifikation als eigenständige Persönlichkeit endet. Es ist die dritte Einweihung auf dem Seelenweg, und die erste in die geistige Wirklichkeit. Bei diesem Schritt versteht man: Was man für Wirklichkeit hielt, waren gedankliche Konstruktionen.

Was verursacht die spirituelle Transformation?

Die Seele ist das Subjekt eines evolutionären Wachstumsprozesses, das sich über viele Inkarnationen entfaltet. Ihr Entwicklungsziel ist nicht die Auflösung in ein form- und strukturloses Absolutes (wie es in manchen Advaita-Interpretationen erscheint),  sondern die Verwirklichung eines einzigartigen spirituellen Ausdrucks innerhalb des Ganzen.

Das Seelenalter ist die Linse, durch die die Welt gesehen wird. Eine junge Seele ist von Ehrgeiz und Erfolg getrieben. Eine reife Seele sehnt sich nach tiefer Verbundenheit und beginnt ihren aktiven Entwicklungsprozess, den Carl Gustav Jung als Individuation bezeichnetet. Eine alte Seele löst sich von den Komplexitäten der Welt und möchte andere auf ihrem Weg unterstützen.

Strebe danach zu verstehen, nicht zu wissen, denn im Verstehen endet der dualistische Prozess von Wissendem und Gewusstem.

Jiddu Krishanmurti

Second-Tier Denken bei Spiral Dynamics


Die Entwicklungstheorie Spiral Dynamics konzentriert sich auf komplexere Denkstrukturen und Wertesysteme, die Menschen durch die Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt entwickeln. Das Modell bleibt jedoch im dualistischen Bewusstsein einer Persönlichkeit gefangen.

Alles Mentale ist relativ. Spiral Dynamics gelangt zu dem Schluss, dass Selbstverwirklichung nicht möglich sei. Eine Entwicklungstheorie, die das grundlegende Entwicklungsprinzip außer acht lässt – leider kein Einzelfall. Die Psychologie setzt Psyche und Seele häufig gleich, obwohl es vollkommen unterschiedliche Dinge sind. Ohne Erkenntnis der nondualen, geistigen Wirklichkeit enthüllt sich die Sinnstruktur der Existenz nicht. Das Wesen des Geistigen und seine tatsächliche Funktionsweise sind unverstanden bei Spiral Dynamics; viele Aussagen sind schlichtweg falsch. Im folgenden Beitrag gehen wir ausführlich darauf ein.

Fazit Second-Tier Denken

Im Second-Tier verlässt man das Spiel der gedanklichen Konstruktionen, ohne es je wieder mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Die Erkenntnis der geistigen Wirklichkeit erfolgt durch die Bewusstwerdung des eigenen geistigen Ursprungs. Der Mensch ist nicht auf der Welt, sondern ein Teil von ihr.

Second-Tier Denken ist nondual und nimmt die geistige Ursachenwelt und die materielle Formwelt durch Intuition gleichzeitig wahr. Es ist auf Harmonie, Lebendigkeit und Diversität ausgerichtet. Mit dieser Denkweise lassen sich die Probleme lösen, die durch die trennende Logik des Intellekts entstanden sind.

Reinventing Transformation – Ganzheit. Sinn. Wirksamkeit.

Zukunftsfähigkeit beginnt dort, wo Lebendigkeit genährt wird, statt das Leben kontrollieren zu wollen. Mehr erfahren